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Erwägungen (Forts.)

7.

7.1.

Die Beschwerdeführer wenden sich zunächst gegen die strengeren Voraussetzungen für eine Unterschutzstellung in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 lit. a DMSG. Bei § 2 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 lit. a DMSG rügen sie, dass der Denkmalbegriff und die Unterschutzstellung eines Objekts neu einen äusserst hohen wissenschaftlichen, kulturellen oder heimatkundlichen Wert voraussetzen und zwei dieser drei Kriterien kumulativ erfüllt sein müssen. In analoger Weise beanstanden sie bei § 4 Abs. 1 DMSG, dass die Unterschutzstellung und die Aufnahme ins Verzeichnis der geschützten Denkmäler ein äusserst statt wie bisher ein sehr hohes öffentliches Interesse an der Erhaltung eines Objekts voraussetzt. Konkret stossen sich die Beschwerdeführer an der Verwendung des Wortes "äusserst" in den drei Bestimmungen sowie am kumulativen Erfordernis des Vorliegens von mindestens zwei Wertkriterien in § 2 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 lit. a DMSG.

7.2.

Wie bereits dargelegt (vgl. vorne E. 6.1), definiert das Granada-Übereinkommen lediglich einen Minimalstandard und belässt den Vertragsparteien einen Handlungsspielraum für die Gesetzgebung über den Schutz des baugeschichtlichen Erbes. Damit können die einzelnen Staaten die Kriterien für die Unterschutzstellung auch weitgehend selbst bestimmen, solange sie tauglich sind, den Zweck der Granada-Konvention zu erfüllen, bzw. damit nicht in Widerspruch treten oder diesen unterlaufen. Der Kanton Zug stellt in den fraglichen Bestimmungen hohe Anforderungen an die Schutzgewährung. Dass es deswegen gar keine geschützten Objekte mehr geben wird, ist jedoch nicht ersichtlich. Es versteht sich auch, dass der Kanton bei der Umsetzung seines Rechts die aufgrund von Art. 78 Abs. 2-5 BV ergangenen Schutzvorschriften des Bundes und dabei insbesondere das Bundesgesetz vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451) und dessen Umsetzungserlasse wie namentlich die Verordnung vom 16. Januar 1991 über den Natur- und Heimatschutz (NHV; SR 451.1) sowie die Verordnung vom 13. November 2019 über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (VISOS; SR 451.12) zu beachten haben wird.  

7.3.

Strittig ist zunächst die wiederholte Verwendung des Wortes "äusserst" in der Gesetzesnovelle. Nach Art. 1 Ziff. 1 der Granada-Konvention in der deutschsprachigen Fassung sind Baudenkmäler von "herausragendem... Interesse" zu schützen. Gemäss der Schlussbemerkung des Abkommens sind allerdings gleichermassen die französisch- und englischsprachigen Originalfassungen und nicht die deutsche Übersetzung verbindlich. Danach sind "monuments... particulièrement remarquables" bzw. "monuments of conspicuous... interest" zu schützen. Diese Formulierungen indizieren weniger strikte Anforderungen als die deutschsprachige Version. Das in der Gesetzesnovelle des Kantons Zug mehrfach verwendete Wort "äusserst" darf demnach nicht restriktiver ausgelegt werden als der anhand der Originalfassungen des Granada-Abkommens zu verstehende Begriff "herausragend". Der Zuger Gesetzgeber hat an sich keinen Hehl daraus gemacht, die gesetzliche Regelung mit der wiederholten Verwendung des Wortes "äusserst" und insbesondere der entsprechenden Ersetzung des Wortes "sehr" in der bisherigen Fassung von § 4 Abs. 1 DMSG verschärfen zu wollen. Bei einer freien Prüfung des Gesetzestexts wäre das möglicherweise von Belang. Mit Blick auf die erforderliche Völkerrechtskonformität ist jedoch lediglich zu prüfen, ob das neue Gesetz anhand der Granada-Konvention und deren Massstab ausgelegt werden kann, woran die konkrete Wortwahl nichts ändert. Es erscheint insoweit nicht ausgeschlossen, die neuen Bestimmungen, in denen das Wort "äusserst" vorkommt, im Sinne des Granada-Abkommens zu verstehen, auch wenn dadurch der gesetzgeberische Wille abgeschwächt wird. Insofern kann die Gesetzesnovelle demnach konventionskonform ausgelegt werden und verletzt sie Bundesrecht nicht.

7.4.

In § 25 Abs. 1 lit. a DMSG werden die drei Kriterien des wissenschaftlichen, kulturellen und heimatkundlichen Werts definiert und es wird vorgeschrieben, dass für die Anerkennung von Schutzwürdigkeit kumulativ mindestens zwei dieser Kriterien erfüllt sein müssen. Dazu berufen sich die Beschwerdeführer auf ein Urteil des Bundesgerichts, woraus sie ableiten wollen, dass bereits jedes Kriterium für sich allein für die Bejahung der Schutzwürdigkeit genügen müsse (Urteil 1C_285/ 2017 vom 27. Oktober 2017 E. 2.4). Das Bundesgericht beurteilte es damals allerdings bloss nicht als willkürlich, ein einzelnes Kriterium als ausreichend zu beurteilen, woraus nicht im Umkehrschluss geschlossen werden kann, die Kantone seien verpflichtet, ein einziges Kriterium als genügend anzuerkennen.

Gemäss Art. 1 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 3 Ziff. 2 und Art. 4 Ziff. 2 der Granada-Konvention sind allerdings alle Bauwerke von herausragendem geschichtlichem, archäologischem, künstlerischem, wissenschaftlichem, sozialem oder technischem Interesse zu schützen. Dies wird erhärtet durch den Explanatory Report to the Convention for the Protection of the Architectural Heritage of Europe, wonach lediglich die "compliance with one or more of the[se] criteria" erforderlich ist (S. 5 des Reports). Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich ohnehin in jedem schutzwürdigen Fall zumindest jeweils zwei der drei in § 25 Abs. 1 lit. a DMSG genannten Kriterien überlagern. So ist ein kulturell oder heimatkundlich interessantes Objekt zwangsläufig auch von wissenschaftlichem bzw. ein heimatkundliches von kulturellem Interesse und umgekehrt. Das Kumulationserfordernis stösst insofern ins Leere und vermag eine Schutzwürdigkeit nicht zu verhindern. Auch die fragliche Bestimmung lässt sich daher in diesem Sinne völker- und bundesrechtskonform auslegen. Ein Verstoss gegen höherrangiges Recht liegt insofern erneut nicht vor.


[…]

Bundesgerichtsurteil | 1C_43/2020