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Erwägungen (Forts.)

6.

6.1.

Obwohl die im Granada-Übereinkommen aufgestellten Grundsätze und Regeln verpflichtend sind, belassen sie den Staaten einen erheblichen Spielraum für deren Umsetzung. Insbesondere bezweckt die Konvention nicht eine Rechtsvereinheitlichung, sondern definiert lediglich einen Minimalstandard (BBl 1995 III 445, 451). Dazu werden teilweise unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, die eine weite Auslegung zulassen. Einzelne Bestimmungen der Granada-Konvention sind in diesem Sinne als allgemein gehaltene Gesetzgebungsaufträge formuliert, so beispielsweise Art. 6 Ziff. 3, wonach sich die Vertragsparteien verpflichten, private Initiativen zur Erhaltung und Wiederherstellung des baugeschichtlichen Erbes zu fördern. Daraus lassen sich keine spezifischen Gesetzgebungsaufträge ableiten. Andere Bestimmungen sind insofern jedoch konkreter.

6.2.

Die Beschwerdeführer berufen sich auf Art. 3 Ziff. 2 und Art. 4 Ziff. 2 in Verbindung mit Art. 1 Ziff. 1 des Granada-Übereinkommens. Auch diese Bestimmungen belassen zwar dem Gesetzgeber der Vertragsparteien einen Handlungsspielraum bei der Definition der Schutzgüter und bei einzelnen Schutzmassnahmen, d.h. insbesondere für die Festlegung der Voraussetzungen und des Umfangs der Schutzgewährung sowie für die Wahl der passenden Mittel. Im Übrigen sind sie aber weitgehend präzise formuliert (vgl. EPINEY/KERN, a.a.O., S. 154) und enthalten eine ausreichend bestimmte grundsätzliche Verpflichtung des Gesetzgebers, Schutzgüter anzuerkennen und taugliche Schutzmassnahmen zu treffen. Dabei sind einzelne Handlungspflichten wie namentlich die gesetzliche Möglichkeit der Enteignung eines geschützten Objekts sogar eindeutig festgelegt. Die hier fraglichen Bestimmungen des Granada-Übereinkommens sind daher geeignet, im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle angerufen zu werden. Bei ihrer Auslegung und der Eingrenzung der daraus fliessenden Verpflichtungen ist aber dem gesetzgeberischen Spielraum Rechnung zu tragen.

6.3.

Dass der Kanton Zug zum Schutz der Denkmäler auf seinem Gebiet verpflichtet ist, wird von ihm nicht in Frage gestellt. Dazu dient ja gerade das kantonale Denkmalschutzgesetz. Der Kanton Zug hält jedoch dafür, nicht gegen die Vorgaben der Granada-Konvention zu verstossen. Mit Blick auf mögliche lokale Schutzgüter wendet er vorweg ein, die Granada-Konvention schütze lediglich Denkmäler von nationaler und regionaler Bedeutung. Lokale Denkmäler fielen nicht darunter. Der Kanton beruft sich dabei auf eine entsprechende Literaturstelle (KERSTIN VON DER DECKEN, in: Ehrenzeller/Engeler, a.a.O., § 3 Internationales Recht, S. 38 f.). Zwar trifft es zu, dass das Granada-Übereinkommen lediglich herausragende (vgl. zur richtigen Bedeutung dieses Begriffs nachfolgend E. 7.3) und damit besonders bedeutende Denkmäler schützt (vgl. Art. 1 Ziff. 1 des Abkommens). Die vom Kanton angerufene Literaturstelle schliesst aber lokale Objekte nicht aus, sondern benutzt die Begriffe der nationalen oder regionalen Denkmäler zur Abgrenzung von solchen globaler oder europäischer Bedeutung. Aus Art. 6 Ziff. 1 der Konvention ergibt sich vielmehr ausdrücklich, dass sich das Granada-Übereinkommen auch auf lokale Baudenkmäler bezieht, sieht die Bestimmung doch explizit die Pflicht der Vertragsparteien vor, die Erhaltung und Wiederherstellung des baugeschichtlichen Erbes im Rahmen der verfügbaren Mittel auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene finanziell zu unterstützen. Die Nennung der lokalen Ebene erschiene sinnlos, wären damit nicht lokale Denkmäler gemeint.


[…]

Bundesgerichtsurteil | 1C_43/2020